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Unterwegs mit dem Notarzt – selten liegen Leben und Tod so nah beieinander

Husum – Es ist sieben Uhr morgens, draußen ist es noch dunkel, Husum erwacht langsam und auch Jens Tücksen (33) und Ralf Wischnewski (44) sind bereits auf den Beinen. Jens Tücksen ist Rettungsassistent und  Ralf Wischnewski Notarzt, für beide beginnt um sieben Uhr ihre Schicht auf dem Notarzteinsatzfahrzeug (NEF). Stationiert ist der mit medizinischem Equipment vollgestopfte Mercedes Vito am Husumer Krankenhaus. Aufenthaltsraum, Ruheraum, eine kleine Küche und die Fahrzeughalle bilden die NEF Wache in Husum. Von hier aus werden sie immer dann alarmiert, wenn an Einsatzstellen des Rettungsdienstes dringend ein Arzt benötigt wird. Was der Tag bringt? Das weiß morgens keiner. „Wie oft wir heute ausrücken werden, das lässt sich nie vorher sagen“, so Jens Tücksen, der als Rettungsassistent das NEF an diesem Tag fahren wird, „zwischen drei und vier Einsätze haben wir im Jahresschnitt innerhalb von 24 Stunden.“ NEF_Reportage_20160007Der erste Einsatz des Tages lässt nicht lange auf sich warten. Tücksen muss den Notarzt zu einem Rettungswagen bringen, der ihn nachgefordert hat. Ein Patient mit akutem Koronarsyndrom braucht ärztliche Hilfe, es handelt sich um einen lebensbedrohlichen Zustand. Der Patient wird unter Überwachung der Vitalfunktionen auf schnellstem Weg ins Krankenhaus gebracht, wo die Behandlung in einem Herzkatheterlabor fortgesetzt wird. Trotz der schwerwiegenden Erkrankung des Mannes ein Routineeinsatz.

NEF_Reportage_20160008Tücksen und Wischnewski sind ein eingespieltes Team. Die Aufgaben am Einsatzort sind klar verteilt. „Als Rettungsassistent arbeite ich dem Notarzt zu und erledige primär organisatorische Aufgaben“, erklärt Tücksen, „in den meisten Fällen treffen wir nach dem Rettungswagen ein, der die Grundversorgung durchführt, als Fahrer des NEF übernehme ich die Anmeldung im Krankenhaus, die Kommunikation mit der Leitstelle und mit Angehörigen und fungiere bei Großschadenslagen so lange als organisatorischer Leiter bis dieser eintrifft.“ Der Notarzt entscheidet anhand der Vitalwerte, die vom Rettungsdienst erhoben werden und der Symptomatik des Patienten welche Therapie vor Ort eingeleitet wird. Die meisten Medikamente dürfen nur von einem Notarzt gegeben werden, so werden die NEFs der Region auch häufig zur Analgesie (Schmerztherapie) gerufen.

Kindernotfälle sind am schlimmsten

2016-10-20 12.21.25Es ist kurz nach zwölf als das Piepen des Melders den zweiten Einsatz des Tages ankündigt. Jens Tücksen greift routiniert zum Meldeempfänger, den er immer am Gürtel trägt. „Das muss jetzt schnell gehen“, sagt Tücksen und läuft bereits in Richtung Fahrzeughalle. „Kind, drei Jahre, bewusstlos“, lautet die Meldung. Informationen, die nichts Gutes verheißen lassen. An einem Seiteneingang des Krankenhauses sammelt Tücksen Notarzt Wischnewski ein, der zwischen den Einsätzen seiner Tätigkeit als Anästhesist im Husumer Krankenhaus nachgeht. Mit Blaulicht und Martinshorn geht es zügig durch die engen Straßen Husums, der Einsatzort liegt nur wenige Kilometer Luftlinie von der Wache entfernt, Fahrtdauer keine zwei Minuten. Am Einsatzort angekommen weißt uns ein kleines Mädchen an der Straße ein, schnell greifen sich Tücksen und Wischnewski alles wichtige an Ausrüstung und medizinischen Geräten und laufen in das Einfamilienhaus. Auf einem Sofa im Erdgeschoss lag der kleine Junge, Wischnewski erkannte schnell, dass die Situation zum Glück nicht so dramatisch ist, wie vermutete. Offenbar erlitt der kleine Patient einen Fieberkrampf, der mittlerweile vorbei war. „Der Junge reagierte auf Ansprache, war nicht blau angelaufen und atmete normal“, so Notarzt Wischnewski. Inzwischen war auch der mit alarmierte Rettungswagen eingetroffen. 2016-10-20 12.14.42Auch Rettungsassistent Jens Tücksen konnte nach der Anspannung auf der Anfahrt erst einmal bisschen herunterfahren.  „Seit ich selbst Kinder habe, denkt man bei derartigen Einsätzen etwas anders, man stellt sich vor wie es ist, wenn es die eigenen trifft und kann sich besser in die Lage der Eltern hineinversetzen.“ Nach einer ersten Untersuchung entschied der Notarzt, dass der dreijährige in die Kinderklinik nach Heide gefahren wird. Notarzt Wischnewski begleitet den Patienten auf der Fahrt nach Heide, auch die Mutter des Jungen darf mit, Tücksen fährt mit dem NEF hinterher. „Die Lage lässt es zu, dass wir mit dem NEF im Falle eines neuen Einsatzes wieder ausrücken können, in dem Fall würde die Rettungswagenbesatzung dann alleine nach Heide fahren“, so Wischnewski.

Nicht immer ist der Arzt zwingend erforderlich

2016-10-20 13.04.48Nach der Übergabe an den behandelnden Arzt im Klinikum Heide geht es für das Husumer NEF zurück zur Wache, jederzeit in Bereitschaft einen weiteren Einsatz zu übernehmen.

In der Mittagspause erzählen Tücksen und Wischnewski von Einsätzen der vergangenen Monate. „Auf dem NEF erlebt man schon viel“, so Tücksen, „während wir auf dem Rettungswagen auch viele Krankentransporte und kleinere Notfälle fahren, so wird das NEF oft dann gerufen, wenn die Lage vor Ort dramatischer und ernster ist.“ Ausgerüstet ist ein Notarzteinsatzfahrzeug in der Regel wie ein Rettungswagen, mit dem Unterschied, dass kein Patient transportiert werden kann. Aus Gründend er Effektivität fahren Notarzt und Rettungsdienst getrennt zu den Einsatzorten. Dieses sogenannte Rendezvoussystem sorgt dafür, dass ein Notarzt, wenn er am Einsatzort nicht mehr gebraucht wird, sofort zu einem Folgeeinsatz ausrücken kann und sich an Einsatzstellen auch um mehrere Patienten kümmern kann.

NEF_Reportage_20160006An diesem Tag dauert es bis 15.30 Uhr ehe im Einsatzbereich erneut ein Notarzt benötigt wird. „Bewusstseinsstörung – Hypertonus“ wurde gemeldet. Eine nicht unbekannte Patientin, wie Tücksen beim genaueren Lesen feststellt. Am Einsatzort angekommen finden Rettungsdienst und Notarzt, die zeitgleich eintreffen, eine ältere Dame vor, die bereits fertig angezogen in der Wohnung auf einem Stuhl sitzt und auf die Einsatzkräfte wartet. Den Notarzt gerufen hatte nicht die Patientin NEF_Reportage_20160004selbst, sondern eine Arztpraxis, die explizit einen Arzt anforderte. „Bewusstseinsstörungen liegen hier nicht oder nicht mehr vor“, so Notarzt Wischnewski, „sie ist klar, orientiert, der Blutdruck bei 140 im Normbereich und das EKG nicht wirklich auffällig, eine unkritische Situation.“ Fünf Minuten später ist die Dame in der Notaufnahme des Husumer Krankenhauses, wo weitere Untersuchungen stattfinden, das NEF ist wieder frei. „Hier wäre ein Arzt nicht unbedingt erforderlich gewesen“, so Wischnewski.

Volle Konzentration am Steuer

NEF_Reportage_20160011Kurz vor Feierabend erneut ein Einsatz. Noch während der Melder piept ist Tücksen auf dem Weg zum Fahrzeug und öffnet das Garagentor. Gemeldet sind schwere Herzrythmusstörungen bei einem Patienten in einer Arztpraxis in Bredstedt. „Da haben wir jetzt eine etwas längere Fahrt vor uns“, kommentiert Tücksen die Einsatzmeldung, „nach dem der Notarzt eingesammelt ist, bahnt sich das NEF mit Martinshorn und Blaulicht seinen Weg durch den Husumer Feierabendverkehr. „Rücksichtslose Verkehrsteilnehmer oder Autofahrer die uns zu spät bemerken oder falsch reagieren, sorgen immer wieder mal für brenzlige Situationen“, so Tücksen, „trotz Sonderrechten ist es nicht immer leicht überall schnell durchzukommen, denn unsere Sicherheit und die der anderen Verkehrsteilnehmer steht an erster Stelle.“

NEF_Reportage_20160005Die minutenlange Fahrt mit Blaulicht verschafft einem einen Eindruck davon wie hart die Arbeit am Steuer des NEF sein kann. Hohe Geschwindigkeiten, das ständige ausweichen in den Gegenverkehr und das Umfahren der Verkehrsteilnehmer die Platz machen Einsatzfahrten wie diese fordern volle Konzentration und Fingerspitzengefühl.

Ein Rettungswagen ist bei diesem Einsatz bereits vor Ort, der Patient ist wach und ansprechbar, das angeschlossene EKG zeigt aber weiterhin die gemeldeten schweren Herzrythmusstörungen. Notarzt Wischnewski will keine Zeit verlieren: „Trage holen, Patient in den RTW und dann fahren wir schnellstmöglich mit Sonderrechten nach Husum.“ Mit der Übergabe des Patienten in der Notaufnahme des Husumer Krankenhauses endete die Schicht für Jens Tücksen, kurze Zeit später übergibt er Fahrzeug und Melder an die Nachtschicht.

Feuerwehr als Tragehilfe

hdrAm nächsten Morgen um sieben Uhr ist Tücksen bereits wieder am NEF Standort in Husum. Eine weitere zwölf Stunden Schicht steht bevor. Mit auf dem NEF heute Notärztin Barbara Wunderlich.

Der Tag beginnt arbeitsreich. Nach zwei kleineren Einsätzen in Husum wird das NEF gegen 10.45 Uhr in einen Husumer Vorort gerufen. Eine Frau mittleren Alters wurde bewusstlos vom Pflegedienst in ihrer Wohnung gefunden. Barbara Wunderlich ordnet vor Ort alle notwendigen Maßnahmen an. Problem – die Wohnung liegt im obersten Stock eines verwinkelten Gebäudes mit steiler Treppe. Die 41-jährige Patientin litt zudem an Übergewicht. Kurzerhand wird über die hdrLeitstelle Tragehilfe angefordert, die freiwillige Feuerwehr rückt an und unterstützt Rettungsdienst und Notarzt bei der Rettung der Patientin. Mit Blaulicht und Martinshorn geht es kurz darauf nach Flensburg in die Notaufnahme der Diako, während der Fahrt lässt Barbara Wunderlich die Patientin nicht aus den Augen und behält die Vitalwerte im Blick.

Julian hat es eilig

NEF_Reportage_20160020Nach diesem Einsatz kehrt Ruhe ein auf der NEF Wache in Husum. Vier lange Stunden ohne Einsatz liegen hinter Jens Tücksen als sein Melder piept. Man will fast sagen, endlich wieder ein Einsatz, doch wenn das NEF in der Garage bleibt bedeutet es, dass es im Einzugsgebiet keine kritischen Notfälle gibt, es den Menschen also gut geht. „Dennoch sind lange Phasen des Wartens auch irgendwie anstrengend“, weiß Tücksen zu berichten. Es folgt ein ganz besonderer Einsatz, der an diesem Tag allen beteiligten mehr als nur ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Es muss nicht immer darum gehen Leben zu retten, es gibt sie auch, die anderen Einsätze. Mit dem Stichwort „einsetzende Geburt, RTW vor Ort“ rückten Tücksen und Wunderlich in einen Husumer Vorort aus. Bereits auf der Anfahrt folgen weitere Informationen über die Leitstelle. „Kind im RTW zur Welt gekommen, Mutter und Kind wohl auf“. „Das ist selten“, freut sich Tücksen, „eine Geburt im NEF_Reportage_20160021Rettungswagen hatte ich während meiner Zeit im Rettungsdienst bisher noch nicht.“ Auch für Notärztin Barbara Wunderlich ist dieser Einsatz alles andere als alltäglich. „Ein wenig Bauchgrummeln hat man dann ja doch, Hausgeburten sind nicht unbedingt unser täglich Brot.“

NEF_Reportage_20160022Auf der Einfahrt eines Einfamilienhaues steht der Rettungswagen. Als Tücksen und Wunderlich in den Wagen steigen herrscht dort bereits eine freudige und glückliche Stimmung. Claudia R. lag auf der Trage, in ihren Armen der kleine Julian, vom Rettungsdienst auf die Welt gebracht und noch keine zehn Minuten auf der Welt. „Stichtag wäre in drei Tagen gewesen“, berichtet die glückliche Mutter, „ich war im Bad als alles auf einmal ganz schnell ging.“ Ohne Ankündigung setzt auf einmal die Geburt ein, sie haben es gerade noch in den Rettungswagen geschafft, der nach wenigen Minuten vor Ort war, da guckte auch schon der Kopf des kleinen Jungen heraus. Beherzt und doch mit der nötigen Ruhe assistierten die Rettungsassistenten bei der Geburt, trennten die Nabelschnur durch und schützten den kleinen vor Unterkühlung. „Mutter und Kind sind wohl auf“, berichtet die Notärztin, „das ist schon ein toller Moment.“ Dabei zu sein, wenn ein neues Lebend das Licht der Welt erblickt, für die Mitarbeiter im Rettungsdienst und die Notärzte nicht alltäglich, im Gegenteil, oft werden sie genau mit dem Gegenteil konfrontiert, nicht selten geht es eher schwer kranken oder verletzten das Leben zu retten.

NEF_Reportage_20160023Nach einer ersten Untersuchung durch die Notärztin ging es ins Krankenhaus nach Husum, wo Hebamme, Gynäkologe und Krankenschwestern übernahmen,  Mutter und Vater sind überglücklich und auch die Einsatzkräfte des RTW und des NEF bekamen an diesem Tag das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht.. „So kann jede Schicht enden“, fasst Tücksen die Gefühle in Worte und verabschiedet sich in den Feierabend.

(Bilder und Text: Benjamin Nolte)

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